Im Carl-Weber-Kindergarten (CWK) in Kirchheim gehört Inklusion seit 39 Jahren zum Alltag. Die Persönlichkeitsentwicklung aller Kinder im Rahmen der gemeinsamen Erziehung ist ein wichtiges Ziel der pädagogischen Arbeit.
KIRCHHEIM. Einige Kinder sitzen auf den Garderobenbänken und ziehen Matschhosen und Jacken an. Sabrina (Name von der Redaktion geändert) hat keine Lust auf Anziehen. Sie protestiert, wirft blitzschnell ihre Brille auf den Boden. „Gut, dass sie nicht kaputt gegangen ist“, sagt die Erzieherin ganz ruhig. Sie hebt die Brille auf und setzt sie dem Mädchen wieder auf die Nase. „Wir gehen doch jetzt alle raus in den Garten und spielen“, sagt sie und hilft Sabrina in die Jacke. Die anderen Kinder aus der Gruppe sind bereits rausgegangen. Sie holen sich in der kleinen Hütte Spielgeräte zum Backen oder Buddeln im Sandkasten, sie rutschen, klettern oder fahren Bobbycar. Sabrina mag die Nestschaukel. Gerne lässt sie sich von der Erzieherin anschubsen. Sie genießt die sanften Bewegungen und wird sichtbar ruhiger. „Sabrina hat ein ganzes Päckchen an Handicaps zu tragen“, erzählt die Erzieherin, „In unserer inklusiven Einrichtung kann sie optimal begleitet und gefördert werden.
Im Carl-Weber-Kindergarten werden Kinder mit Behinderung oder Entwicklungsverzögerung und Kinder ohne Behinderung betreut. „Wir haben zwei gemischte Gruppen mit jeweils zehn Kindern ohne Behinderung und fünf Kindern mit Behinderung und eine Kleingruppe für fünf Kinder mit Behinderung“, sagt die Kindergartenleiterin. Das Team besteht aus Erzieher*innen, Sozialpädagog*innen und Heilpädagog*innen.
Ein wichtiges Ziel im Rahmen der gemeinsamen Erziehung ist die Persönlichkeitsentwicklung jedes einzelnen Kindes. „Die Herausforderung für uns ist, die Kinder mit Behinderung individuell zu fördern, und das im Einklang mit den Regelkindergartengruppen. Für uns stehen die Kompetenzen der Kinder im Mittelpunkt, nicht deren Behinderungen. Alle Kinder sollen, unabhängig von ihren individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen, gemeinsam lernen und spielen. Es ging und geht darum, Barrieren abzubauen und eine Umgebung zu schaffen, in der sich jedes Kind willkommen und zugehörig fühlt.“
Dass Kinder mit Behinderung schon in jungen Jahren in einer Kindergruppe spielen können, wichtige soziale Kompetenzen erwerben und individuell gefördert werden, diese Idee stand vor 50 Jahren im Mittelpunkt, als die Lebenshilfe Kirchheim den Schulkindergarten geschaffen hat. Von Beginn an legte die erste Leiterin Wert darauf, dass Kontakte zu umliegenden Regelkindergärten aufgebaut wurden. Die positiven Erfahrungen führten dazu, dass 1986 zusätzlich ein Regelkindergarten in Trägerschaft der Lebenshilfe eröffnet wurde. Seitdem besuchen 15 Kinder mit Behinderung und 20 Kinder ohne Behinderung den CWK.
Bei der Gründung dienten die damaligen Baracken in der Austraße als Übergangsdomizil. Dort ist der Schulkindergarten ist mit fünf Kindern im September 1975 gestartet. Der Kirchheimer Maler Carl Weber bedachte uns in seinem Testament und so konnte bereits im Februar 1981 der Grundstein für den heutigen Kindergarten in der Senefelderstraße gelegt werden. Im Laufe der Jahre kam die Erweiterung um ein Stockwerk hinzu. „Inzwischen ist es so, dass wir mit dem Gebäude erneut an unsere Grenzen stoßen“, sagt Cornelia Klee, Geschäftsführerin der Lebenshilfe Kirchheim. „Weitere Räume wären sinnvoll, weil sich die individuellen Bedarfe bei allen Kindern verändert haben.“ Es gebe mehr bewegungsaktive Kinder und solche mit autistischen Zügen. Neben den drei Gruppenräumen gibt es die kleine Turnhalle mit Trampolin und das Bällebad. In den kommenden Wochen entsteht in einem Zimmer im Erdgeschoss ein Snoezelen Raum. „Die Sonderräume sind wertvoll“, erklärt die Geschäftsführerin. Zusätzlich gibt es auf der Galerie eine Ecke mit Bausteinen als Rückzugsort.
Während zwei Gruppen kurz vor dem Mittagessen noch ausgiebig den Garten nutzen, lassen einige Kinder der Bären-Gruppe im Obergeschoss ihrer Kreativität freien Lauf. In einer Ecke sitzen drei Jungs am Tisch und bemalen ein Piratenschiff mit Wasserfarben. Andere sind in der Bau- und Lego-Ecke oder schauen ein Bilderbuch an. „Die Kinder lernen voneinander“, sagt die Erzieherin. „Man hilft sich ganz selbstverständlich.“ Zur besseren Orientierung hat jedes Kind ein Tiersymbol. „Die Katze oder der Löwe sind dann nicht nur am Garderobenplatz, sondern auch am Handtuch, am Glas oder am Teller.“ Bald gibt es Mittagessen.
Die Hauswirtschafterin bringt auf einem Wagen die Schüsseln mit Gemüse und Knödeln mit Soße. Die Erzieherinnen verteilen Essen und Getränke. Die meisten Kinder sitzen ruhig am Tisch und essen, andere machen Quatsch. Ein ganz normaler Alltag mit Kindern.
Tim (Name von der Redaktion geändert) hat noch Hunger. Durch das Zeigen einer passenden Kommunikationskarte macht er seinen Wunsch nach einer zweiten Portion deutlich. Die Möglichkeiten der Unterstützten Kommunikation gehören im CWK zum Alltag. Symbole, „sprechende Tasten“ und manchmal auch Talker ermöglichen es allen Kindern, zu kommunizieren. „Durch unsere kleine Gruppe haben wir ganz andere Möglichkeiten, auf die einzelnen Kinder einzugehen. So können im Kindergartenalltag wichtige Kompetenzen für den späteren Schulbesuch und darüber hinaus erworben werden“, erklärt die Kindergartenleiterin. „Wir legen Wert darauf, den Kindern mit Behinderung Dinge beizubringen, die sie im späteren Leben befähigen, möglichst selbstbestimmt zu leben. Dazu gehören neben Möglichkeiten zur Kommunikation auch Elemente der Selbstversorgung. Aber wir üben nicht nur. Einfach nur spielen und Spaß haben gehört natürlich auch dazu.“
Nach dem Mittagessen ziehen sich einige Kinder in die Kuschelecke oder den Ruheraum für den Mittagsschlaf zurück. Die Schulkindergartenkinder kommen aus dem ganzen Landkreis in den Carl-Weber-Kindergarten. Sie werden mit Bussen um 8.30 Uhr in die Senefelderstraße gebracht und um 15 Uhr wieder abgeholt. Die Kinder aus dem Regelkindergarten kommen alle aus Kirchheim und werden von den Eltern zum Kindergarten gebracht. Sie können in unterschiedlichen Modellen in der Zeit von 7:30 Uhr bis 15:30 Uhr betreut werden. Wer länger als 12:00 Uhr bleibt bekommt ein Mittagessen.
von Elisabeth Schaal